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Es geht um Menschlichkeit

Wolf Hinsching gründete vor 30 Jahren den ersten Standort von FAMEV in Deutschland. Im Interview erinnert er an die Grundwerte der französischen Mutterorganisation.

 

Wie war Ihr Weg zu Freunde alter Menschen?

Ich bin seit über 40 Jahren bei den Petits frères des Pauvres, damals war ich in Marseille als hauptamtlicher Mitarbeiter angestellt. Wir hatten erfolgreich eines der ersten Häuser aufgebaut, dessen Funktion man wohl als „Sozialstation“ übersetzen könnte. Das ist die Mission der petits frères: wir wollen zeigen, dass mehr geht! Dazu haben wir immer wieder Modelle entwickelt und auch selbst finanziert, die über die Grundversorgung hinaus gehen. „Blumen vor dem Brot“ – das war der Leitspruch unseres Gründers Armand Marquiset.

 

Wie erklären Sie sich den Erfolg der Petits frères des
Pauvres in Frankreich?

Dazu muss man wissen, dass die Strukturen in Frankreich andere sind als in Deutschland. Dort wird nur das Notwendigste vom Staat übernommen und ist verkürzt gesagt auf „warm – satt – sauber“ reduziert. Das Bewusstsein der Franzosen, dass man zusätzlich etwas für alte Menschen tun muss, ist daher hoch. In Frankreich kennen viele die petits frères und dementsprechend groß ist auch die Spendenbereitschaft.

 

Wie sind die „Freunde alter Menschen“ nach Deutschland gekommen?

Mittlerweile hatte ich dann die Sektion Paris Banlieue übernommen und war Direktor mehrerer Abteilungen. 1991 kam die Anfrage aus der Zentrale, ob ich bereit wäre, die petits frères auch in Deutschland zu etablieren. Ich hatte Lust, wieder in meine Heimat zu gehen, das war aber erst einmal ein Sprung ins kalte Wasser. In Frankreich hatte ich viele Mitarbeiter – in Berlin habe ich erst einmal alles alleine gemacht. Ich war von 1991 bis 1996 Geschäftsführer. Eines Tages stand Klaus-W. Pawletko in der Tür. Er hat als Freiwilliger angefangen und war ideal, um in den Folgejahren die Geschäftsführung zu übernehmen.

 

FAMEV hat im 30. Jahr nach der Gründung erneut
einen Geschäftsführerwechsel, welche Herausforderungen sehen Sie für das Projekt?

Ich denke, dass es gut läuft. In der ersten Phase hatte ich die Gründungsenergie und habe das Projekt aufgebaut. Ich muss aber sagen, dass ich sehr von der französischen Perspektive geprägt war. Klaus war ein guter Nachfolger, er kannte sich gut im deutschen System aus. Er hat mit den Wohngemeinschaften für an Demenz erkrankten Menschen ein Modellprojekt entwickelt, das FAMEV bundesweit bekannt machte. Wichtig war auch, dass er FAMEV in kontinuierliche Bahnen lenkte und konsequent den Ansatz von Besuchspartnerschaften verfolgte.

Nun kommt eine dritte Phase, eine Zeit der Expansion. Das Thema Einsamkeit gewinnt an Bedeutung, der Verein wird größer und wird sicher auch ein paar Wachstumsschmerzen aushalten müssen. Das Wichtigste ist, dass wir die Grundhaltung bewahren: es geht um Großzügigkeit, Menschlichkeit und Wärme. Das macht das besondere Charisma dieses Projekts aus. Nicht der Ruf von guter Sozialarbeit ist entscheidend – sondern die Mission „Blumen vor dem Brot“.